Der Ferrari unter den Instrumenten

Der Ferrari unter den Instrumenten

Christian Poltéra spielt auf dem „Mara“-Cello von Stradivari

„Ich darf mich vorstellen? Mit Vaternamen heiße ich Stradivari. Ich bin 1711 in Italien, in Cremona, in der Werkstatt meines Meisters Antonio Stradivari zur Welt gekommen und – was soll ich machen? – eigentlich seit dem Tag meiner Geburt berühmt“, so beginnt die Erzählung „Mara“ des Schriftstellers Wolf Wondratschek. Die „Mara“, jenes berühmte Violoncello, ist keine Erfindung, sondern eines der wertvollsten Instrumente der Welt.

Wondratschek war von der bewegten Geschichte des Instruments fasziniert. In der sechsten Ausgabe der Erzählung aus dem Jahr 2016 fügt er ein Kapitel hinzu und berichtet darin von dem abenteuerlichen bislang letzten Wechsel des Besitzers. Heinrich Schiff spielte das Cello fast 20 Jahre lang. Quasi von einem Tag auf den anderen musste er seine Karriere aus gesundheitlichen Gründen beenden und die „Mara“ sollte in den Besitz eines taiwanesischen Geschäftsmannes gehen, der schon einige andere wertvolle Instrumente in seiner Sammlung hatte, u.a. das „Sleeping Beauty“-Cello aus der Werkstatt von Domenico Montagnana. Doch glücklicherweise wurde in wenigen Tagen ein Mäzen gefunden, so dass das Instrument in Europa verbleiben konnte und nicht in einem Tresor in Asien verschwand. Die neuen Besitzer sprachen Christian Poltéra an. Der Schweizer Cellist war ein langjähriger Schüler von Heinrich Schiff gewesen. Sie mochten nicht nur sein Spiel, sondern setzten auch das Vertrauen in ihn, dass er der Richtige sei, das Instrument weiter zu spielen. In seiner Erzählung berichtet Wondratschek von den bewegten 300 Jahren „zwischen den Schenkeln von Wahnsinnigen“. Angefangen mit Giovanni Mara, Namensgeber des Instruments und „faszinierender Sündenlümmel“, der die „Mara“ fast mit einer Wodkaflasche erschlagen hatte, bis zu jener Begebenheit im Juli 1963, bei der Amadeo Baldovino sein Instrument bei einem Feuer auf der Nachtfähre über den Rio de la Plata verlor. Glücklicherweise hatte der Cellist die Katastrophe überlebt, Tage später wird auch das Cello aus dem Wasser geborgen – allerdings in viele Teile zerlegt. Mühsam wurde das Instrument wieder restauriert.

Solche Geschichten machen nicht nur die „Mara“ zum Mythos. Was aber ist es, das uns bis heute an den Amatis, Stradivaris oder Montagnanas so fasziniert? Ist es das Geheimnis des Klanges, das trotz zahlreicher Analyse und akribischer Untersuchungen immer noch nicht gelüftet scheint? Oder ist es das Alter an sich, welches aus einem einfach aus Holz gefertigtem Gegenstand ein Instrument macht, das immer besser klingt. In einer Zeit, in der alles erklärbar scheint, kommt man diesem Geheimnis trotz modernster Technologie nie ganz auf die Spur. „Ich werde mit jedem Jahr, das es mich gibt, seltener. Wechselt mein Besitzer, steigt mein Preis“, heißt es in Wondratscheks Erzählung.

Christian Poltéra · Foto: Neda NavaeeSeit 2012 spielt Christian Poltéra auf dem „Mara“-Violoncello, eine Lust und Last zugleich und ein immerwährender Prozess. „Je besser ein Instrument ist, desto komplexer ist es. Die ‚Mara‘ kann man nicht einfach in die Hand nehmen und sich sofort zu Hause fühlen“, erklärte Poltéra einmal in einem Interview. „Sie hat sehr viel eigenen Charakter, den man klingen lassen muss. Der Gewinn sind sicherlich die wahnsinnig schönen und eigenen Klänge, die es hervorzaubern kann.“

Robert Schumanns a-Moll Cellokonzert setzt weniger auf Virtuosentum als vielmehr auf die Gesanglichkeit und Kantabilität des Instruments. Das Cello darf das ganze Konzert über mit viel Seele „singen“. Eine besondere Gelegenheit, dies auf dem über 300 Jahre alten Stradivari-Instrument zu hören. „Ich sage immer, dass es nicht sein muss, aber kann“, so Christian Poltéra. „Es ist jetzt nicht so, wenn man kein Stradivari-Cello hat, dass man jetzt verloren ist. Es geht um die letzten paar Prozent. Ich vergleiche es manchmal mit einem Auto, man kann auch mit einem normalen Auto fahren. Es braucht niemand einen Ferrari.“

Anja Renczikowski

Foto: Neda Navaee

Auftritte in der Spielzeit 2019/2020: