„Von Herzen möge es wieder zu Herzen gehen“
Beethoven und die „Missa Solemnis“
Beethoven in der Natur, die graue Lockenmähne vom Wind zerzaust, das Manuskript der „Missa Solemnis“ in der Hand – so stellt der Münchner Porträtmaler Joseph Karl Stieler den Komponisten im Jahre 1820 dar. Nicht im heimischen Arbeitszimmer, so suggeriert die Szene, sondern unter Gottes freiem Himmel formt sich die Inspiration zum reifen Werk.
Das Gemälde dürfte den Dargestellten erheblich idealisieren. Dennoch ist es bis heute das berühmteste aller Beethoven-Porträts geblieben – auch deshalb, weil es das populäre Bild des Komponisten so nachdrücklich bestätigt: genial und wirr zugleich, gänzlich desinteressiert an allem Äußerlichen, vollständig gefangen im schöpferischen Akt.
Ein Blick in die Welt
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Stieler dem Komponisten ausgerechnet das Manuskript der „Missa Solemnis“ in die Hand legt. Denn gerade mit diesem Werk macht Beethoven es den Zeitgenossen und Nachgeborenen ganz besonders schwer: eine Messe, die alle gewohnten Dimensionen geistlicher Musik sprengt, die mit jeder Note aus den Fesseln der Liturgie hinaus in die Geisteswelt einer freien, säkularen Humanität strebt.
Das ist keineswegs von Anfang an so geplant. Als Beethoven 1819 mit der Komposition beginnt, hat er einen konkreten Uraufführungs-Termin vor Augen: Am 9. März 1820 soll Erzherzog Rudolph von Österreich, königlicher Freund, Schüler und Mäzen des Komponisten, als Bischof von Olmütz inthronisiert werden. Schon bald allerdings ist Beethoven klar, dass er es nicht rechtzeitig schaffen wird, auch wenn er dem Erzherzog immer wieder Hoffnungen macht. Am Ende muss Rudolph mit einer Messe des Wiener Komponisten Johann Nepomuk Hummel Vorlieb nehmen.
Noch drei Jahre wird es dauern, bis die Partitur vollendet ist. Beethoven vertieft sich, wie zahlreiche Dokumente bezeugen, in die Geschichte der Kirchenmusik, studiert theologische Werke. Aber was noch wichtiger ist: Er blickt in die Welt, die ihn umgibt – eine Welt, die von den napoleonischen Kriegen verwüstet wurde, die sich aus den revolutionären Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in die Friedhofsruhe eines Polizeistaats begeben hat. Die allgemeine Stimmungslage ist von Angst geprägt, und diese Angst hat Beethoven komponiert: in den beklommenen, gehetzten Rezitativen des „Agnus Dei“.
Das ist keineswegs von Anfang an so geplant. Als Beethoven 1819 mit der Komposition beginnt, hat er einen konkreten Uraufführungs-Termin vor Augen: Am 9. März 1820 soll Erzherzog Rudolph von Österreich, königlicher Freund, Schüler und Mäzen des Komponisten, als Bischof von Olmütz inthronisiert werden. Schon bald allerdings ist Beethoven klar, dass er es nicht rechtzeitig schaffen wird, auch wenn er dem Erzherzog immer wieder Hoffnungen macht. Am Ende muss Rudolph mit einer Messe des Wiener Komponisten Johann Nepomuk Hummel Vorlieb nehmen.
Noch drei Jahre wird es dauern, bis die Partitur vollendet ist. Beethoven vertieft sich, wie zahlreiche Dokumente bezeugen, in die Geschichte der Kirchenmusik, studiert theologische Werke. Aber was noch wichtiger ist: Er blickt in die Welt, die ihn umgibt – eine Welt, die von den napoleonischen Kriegen verwüstet wurde, die sich aus den revolutionären Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in die Friedhofsruhe eines Polizeistaats begeben hat. Die allgemeine Stimmungslage ist von Angst geprägt, und diese Angst hat Beethoven komponiert: in den beklommenen, gehetzten Rezitativen des „Agnus Dei“.
Verkaufsstrategien
Aber die „Missa Solemnis“ ist von ihrem Schöpfer auch ganz bewusst und mit allem persönlichen Stolz als Hauptwerk, als Krönung seines Schaffens angelegt. Und dieses Hauptwerk will er auf keinen Fall unter Wert verkaufen. Nach der Fertigstellung des Manuskripts verhandelt Beethoven gleichzeitig mit bis zu sieben Verlegern über die Veröffentlichung – hart am Rande des Betrugs, denn er hat bereits vom Bonner Verlagshaus Simrock einen hohen Vorschuss bekommen. Noch vor der Drucklegung bietet Beethoven handschriftliche Kopien der Partitur mehreren europäischen Fürstenhöfen zum Kauf an. Mit diesem cleveren Schachzug sichert er sich ein beträchtliches Vorab-Honorar und steigert zugleich durch den Hinweis auf die aristokratischen Unterstützer das Interesse der musikalischen Öffentlichkeit.
Der Aufführungskarriere der „Missa Solemnis“ wird das wenig nutzen. In Wien erklingen am 7. Mai 1824 zunächst nur drei Sätze des Werkes, überstrahlt vom Erfolg der neunten Sinfonie, die im gleichen Konzert aus der Taufe gehoben wird. Eine erste Gesamtaufführung findet, weitgehend unbemerkt, im fernen St. Petersburg statt, wo sich der mit Beethoven befreundete Fürst Nikolai Galitzin für die Messe stark macht. Danach sucht man jahrelang vergeblich nach Zeugnissen für eine öffentliche Präsentation aller fünf Sätze. Im böhmischen Marktflecken Warnsdorf soll es angeblich 1830, drei Jahre nach Beethovens Tod, zu einer vollständigen Aufführung gekommen sein, geleitet vom örtlichen Schulmeister. Aber möchte man sich das vorstellen?
Ergreifende Friedensbitte
Nicht einmal die großen Musikfeste des 19. Jahrhunderts, die Bachs und Händels Oratorien den Weg ins Repertoire ebnen, sind dem Schicksal des Werkes günstig. Immer wieder stehen praktische Schwierigkeiten im Weg, besonders die erheblichen Anforderungen an den Chor und die Solisten. Dazu kommen Bedenken wegen der durch und durch „unfrommen“ Anlage des Ganzen. Heftige Kritik entzündet sich ausgerechnet am großartigsten, eindringlichsten Moment der Partitur – der „Bitte um inneren und äußeren Frieden“: Beethoven entfacht hier ein wildes, von Trommelwirbeln und Trompetenstößen begleitetes Kriegsgetümmel, dem umso ergreifender die demütige Friedensbitte des „Dona nobis pacem“ folgt.
„Von Herzen möge es wieder zu Herzen gehen“ schreibt Beethoven in ungewöhnlich offener Emotionalität über den Beginn des „Kyrie“. Das glühende Verbrüderungspathos der neunten Sinfonie erreicht die Herzen der Menschen sofort. Die Messe braucht sehr viel länger: Erst das Publikum des 20. Jahrhunderts wird sie in all ihrer spirituellen Tiefe und geistigen Weite angemessen würdigen – als eine Musik, die sich gleichermaßen an Tief- und Ungläubige richtet, an Idealisten und Skeptiker, an Streitbare und Trostsuchende.
1. Philharmonisches Konzert
Duisburger Philharmoniker
Christoph Spering Dirigent
Julia Kleiter Sopran
Ingeborg Danz Alt
Christoph Prégardien Tenor
Tareq Nazmi Bass
Chorus Musicus Köln
Ludwig van Beethoven
Missa Solemnis D-Dur op. 123
Mi 08. / Do 09. September 2021, 19.30 Uhr
Philharmonie Mercatorhalle